Inhaltszusammenfassung:
Die intraabdominale Hypertonie (IAH) ist kein seltenes Krankheitsbild auf pädiatrischen Intensivstationen. Die Maximalvariante der IAH, das abdominale Kompartmentsyndrom, weist hohe Mortalitätsraten auf. Die pathophysiologischen Auswirkungen der IAH sind komplex und betreffen viele Organsysteme des Körpers. Trotz dieser Umstände sind die Datenlage und das Wissen bezüglich dieser Erkrankungen bei pädiatrischen Patienten verbesserungsbedürftig. Für die Detektion der IAH ist die Messung des intraabdominalen Drucks über die Blase etabliert. Diese Methode setzt einen einliegenden Blasenkatheter voraus und ist bei manchen Erkrankungen kontraindiziert. Ziel dieser Studie war die Ermittlung von Inzidenz und Schweregraden der postoperativen IAH bei Neugeborenen mit erhöhtem Risiko. Des Weiteren sollte die postoperative Dynamik des intraabdominalen Drucks in dieser Kohorte untersucht werden. Der Nutzen von alternativen Messmethoden und Parametern für die Detektion und zum Monitoring einer intraabdominalen Hypertonie und des intraabdominalen Drucks wurde evaluiert.
In dieser prospektiven Beobachtungsstudie auf einer interdisziplinären Intensivstation wurden 30 operierte Neugeborene mit erhöhtem Risiko für eine IAH eingeschlossen. Bei den Patienten wurde postoperativ der intraabdominale Druck und lokale Mikro- und Makrozirkulationsparameter dreimal in 24h-Intervallen gemessen. Die Mikrozirkulation wurde mithilfe der „O2C“-Messung, einer Kombination aus Weißlichtspektrometrie und Laser-Doppler-Spektroskopie, in Niere und Oberschenkelmuskulatur untersucht. Die Makrozirkulation wurde mithilfe des sonographisch ermittelten renalen Resistive Index (RI) analysiert. Vital- und Laborparameter einschließlich PEEP, mittlerem Atemwegsdruck, abdominalem Perfusionsdruck, mittlerem arteriellen Druck, arterieller Sauerstoffsättigung, Hämoglobinkonzentration, Kreatinin- und Harnstoffkonzentration, 24h-Flüssigkeitsbilanz und -Urinausscheidung wurden ebenfalls untersucht.
16 Patienten (53,3%) wiesen postoperativ eine IAH auf. Sie waren statistisch signifikant häufiger weiblich und zeigten ein statistisch signifikant geringeres Gewicht. Es kam zu keinem Auftreten eines abdominalen Kompartmentsyndroms. Die Patienten mit IAH wiesen am häufigsten niedrige IAH-Schweregrade (I & II) auf und zeigten länger erniedrigte Werte des abdominalen Perfusionsdrucks (APP) als Patienten ohne IAH. Die postoperativen Verläufe des intraabdominalen Drucks innerhalb aller Gruppen zeigten sich konstant ohne statistisch signifikanten Trend. Eine häufige Inzidenz von IAH Grad III zwischen 48-72h nach OP führte zu statistisch signifikant verringerten abdominalen Perfusionsdrücken bei den Patienten mit IAH. Auch wiesen diese bis 72h nach OP einen statistisch signifikant höheren intraabdominalen Druck auf als Patienten ohne IAH. Keiner der erhobenen Parameter zeigte sich bei Patienten mit IAH in diesem Zeitraum durchgehend statistisch signifikant verändert.
Diese Studie liefert umfassende Informationen zur IAH-Inzidenz sowie ihrer postoperativen Dynamik und Schweregrade bei operierten Neugeborenen mit erhöhtem Risiko. Nach den Ergebnissen dieser Studie kann der Nutzen der renalen und muskulären O2C-Messung zur Detektion einer postoperativen intraabdominalen Hypertonie oder eines abdominalen Kompartmentsyndroms bei Risikopatienten nicht bestätigt werden. Dies gilt auch für die Messung des renalen Resistive Index. Die fehlenden Korrelationen zwischen den untersuchten Parametern und dem IAP bzw. der IAH stehen teilweise im Widerspruch zur Literatur. Ein Grund für die milden Auswirkungen der intraabdominalen Hypertonie auf Organperfusion und -funktion sind vermutlich die insgesamt eher niedrigen IAH-Grade der Patienten der vorliegenden Studie. Der abdominale Perfusionsdruck war im Vergleich zum dauerhaft signifikant erhöhten IAP nur an einem post-OP-Tag signifikant erniedrigt. Dies könnte ein Hinweis auf eine meist ausreichende Perfusion der viszeralen Organe trotz vorliegender IAH sein.
Die geringe Kohortengröße (n=30) schränkt die Aussagekraft der Studie ein. Zusätzlich kam es zu unvollständigen Datensätzen durch extern bedingten Messungsabbruch (z.B. gezogener Blasenkatheter, Verlegung auf Normalstation). Durch das Überwiegen von Patienten mit Bauchwanddefekten und Zwerchfellhernien sind die Daten vor allem für eine spezifische Patientenkohorte gültig.
Zukünftige Studien zur pädiatrischen intraabdominalen Hypertonie mit mehr Patienten werden benötigt. Schwerpunkte könnten die weitere Verbesserung der Datenlage bezüglich Inzidenz, Schweregrade und Dynamik der IAH bei Kindern bilden. Auch die weitere Evaluation der hier angewandten Messmethoden und Parameter in verschiedenen, größeren Patientenkohorten ist notwendig. Eine Miteinbeziehung des peri- und postoperativen Kreislaufmanagements von Patienten mit IAH kann weitere Hinweise für die Entstehung der Ergebnisse der vorliegenden Arbeit liefern. Interventionsstudien zur Erhöhung des abdominalen Perfusionsdrucks bei Patienten mit IAH sind ebenfalls ein interessanter Ansatzpunkt für die Zukunft.