Inhaltszusammenfassung:
Im internationalen Kontext haben sich neben der vollstationären psychiatrischen Behandlung mindestens seit Mitte des letzten Jahrhunderts zahlreiche alternative aufsuchende Behandlungsmethoden etabliert. Wenn auch vergleichsweise verspätet, zeichnet sich in Deutschland schrittweise eine Tendenz in Richtung gemeindenaher Behandlungsformen ab. Die gesetzlich verankerte Einführung der StäB 2018 erweitert das Spektrum der psychiatrischen Versorgungslandschaft in Deutschland um eine aufsuchende Behandlungsform mit dem Anspruch, der vollstationären Behandlung äquivalent zu sein. Trotz eines anhaltenden Diskurses um die StäB scheint sich die von einem multiprofessionellen Team durchgeführte Akutbehandlung nach und nach an vielen deutschen Kliniken zu etablieren.
Die deutschlandweite multizentrische AKtiV-Studie verfolgt das Ziel, die Implementierung und Wirksamkeit der StäB zu überprüfen. Die vorliegende Studie hat unter dem Schirm der AKtiV-Studie das Studienkollektiv des in Baden-Württemberg gelegenen Studienzentrums Reutlingen untersucht. Entsprechend war das Ziel der Studie, die Wirksamkeit der StäB im Vergleich zur bisherigen Standardbehandlung, der vollstationären psychiatrischen Behandlung, anhand verschiedener, teils standortspezifischer, Prädiktoren zu untersuchen. Dabei wurden neben der Untersuchung der stationären Wiederaufnahme der Proband*innen ein Schwerpunkt auf die Untersuchung der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen nach SGB V sowie der Entwicklung psychosozialen Funktionsniveaus und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität während des Beobachtungszeitraumes von 12 Monaten gelegt. Zuletzt wurde ein Vergleich des städtisch geprägten Studienzentrums Reutlingen mit dem benachbarten ländlich geprägten Studienzentrum Zwiefalten angestellt.
Die Stichprobe der Studie setzte sich zusammen aus 25 Proband*innen der IG, die als Indexbehandlung ab dem 01.01.2021 eine durch das StäB-Team der PP.rt Reutlingen durchgeführte StäB erhalten hatten, und 25 Kontrollproband*innen, die im gleichen Zeitraum an eben dieser Klinik vollstationär behandelt wurden und anhand eines Propensity-Score-Matchings ausgewählt wurden. Im Zuge dieser Studie wurden die insgesamt 50 Proband*innen in 6M-FU- und 12M-FU-Befragungen erneut aufgesucht und mithilfe standardisierter Fragebögen der AKtiV-Studie interviewt.
Hinsichtlich der stationären Wiederaufnahmerate zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen den Proband*innen der IG und der KG. Die Zeitspanne bis zur stationären Wiederaufnahme sowie die Häufigkeit und Dauer der stationären Wiederaufnahmen unterschieden sich ebenfalls nicht zwischen den beiden Gruppen. Sowohl innerhalb der IG als auch der KG erfolgten mehr Wiederaufnahmen in eine vollstationäre Behandlung und Proband*innen mit höherem Einkommen oder Kindern wurden seltener stationär wiederaufgenommen. Die Indexbehandlung der IG in Form einer StäB dauerte signifikant länger als die der KG. Kein Unterschied zwischen den Gruppen zeigte sich bezüglich stationärer, teilstationärer und ambulanter medizinischer Leistungen nach SGB V sowie bei der Entwicklung des psychosozialen Funktionsniveaus und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Beim Vergleich des städtisch geprägten Studienzentrums Reutlingen und des ländlich geprägten Studienzentrums Zwiefalten konnten trotz unterschiedlicher Versorgungsstrukturen keine signifikanten Unterschiede bezüglich der stationären Wiederaufnahme und der Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen nach SGB V nachgewiesen werden. Zuletzt konnte in einem kurzen Exkurs der Studie durch Erfahrungsberichte der Proband*innen der Einfluss der Covid-19-Pandemie, von der die Zeit während der Datenerhebung maßgeblich geprägt war, auf die Proband*innen beleuchtet werden.
Zusammenfassend scheinen die untersuchten Parameter von der Behandlungsform der Indexbehandlung unabhängig zu sein. Die Ergebnisse deuten folglich eine Äquivalenz der StäB und der vollstationären Behandlung an. Vor dem Hintergrund der geringen Stichprobengröße, der ausschließlichen Untersuchung von Proband*innen an einer Klinik sowie weiteren Limitationen ist die Allgemeingültigkeit der Ergebnisse beschränkt. Neben den noch ausstehenden Ergebnissen der AKtiV-Gesamtstudie sind daher zukünftige Studien notwendig, um weitere Informationen zur Wirksamkeit der StäB zu erhalten und die Ergebnisse der Studie zu überprüfen.