Inhaltszusammenfassung:
Als vierthäufigste Tumorart bei Männern und mit sehr hoher Rezidivrate stellt das
Harnblasenkarzinom eine große Belastung für Mensch und Gesundheitssystem
dar. Um die komplexen Vorgänge der Onkogenese sowie das allgemeine
Verhalten dieser Tumorart zu erforschen, sind Modelle nötig, die die in-vivo
Situation möglichst exakt nachbilden. Nach jahrzehntelanger Forschung an
Zelllinien in einfacher 2D-Zellkultur gilt die 3D-Zellkultur als vielversprechender
Ansatz für ein Modell, das ein Stück weit mehr der Realität entspricht. Die
dreidimensionale Interaktion der Zellgebilde – sog. Organoide – sowohl zu
benachbarten Tumorzellen als auch zum umgebenden Stroma wird als
bedeutende Weiterentwicklung angesehen, nachdem die hohe Relevanz dieser
Mechanismen in den letzten zwei Jahrzehnten immer mehr aufgedeckt wurde.
Im Rahmen dieser Dissertation wurde an der Etablierung eines Organoidmodells
aus humanem Harnblasengewebe gearbeitet. Anhand standardisierter
Protokolle wurden insgesamt 22 Kulturen aus Primärgewebe bzw. tiefgefrorenen
Rückstellproben angesetzt und deren Wachstumsverhalten über die Passagen
hinweg beobachtet. Nachdem ein Großteil der Kulturen nur geringes Wachstum
zeigte und nur wenige als Zelllinie über die fünfte Passage hinaus kultiviert
werden konnten, wurden nachträglich die zugehörigen Originaltumore
immunhistochemisch auf die Expression von acht verschiedenen Antikörpern
untersucht. Insbesondere stellten diese Analysen auf Originaltumorebene eine
unterschiedliche Expression von Ki-67 sowie CK7 und CK20 zwischen Kulturen
mit „stabiler Proliferation“ und solchen mit „variabler Proliferation“ fest. Im
Allgemeinen deutet die unterschiedliche Expression der meisten der acht Marker
an, dass Primärgewebe mit höherem pathologischen Tumorstadium sowie
Tumorgrading auch stabileres Wachstum in Organoidzellkultur zeigt. Speziell die
unterschiedliche Expression von Ki-67 zwischen den beiden Gruppen liefert
Hinweise darauf, dass bestimmte Tumore in ihrem Wachstum auf die Interaktion
mit dem umliegenden Stroma angewiesen sind. Da diese Interaktion in der hier
verwendeten Monozellkultur nicht gegeben war, sind möglicherweise
weiterführende Versuche mit Stromazellen in Kokultur oder mit sogenannten
Feederzellen zielführend. So könnten auch diese Tumore über mehrere
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Passagen kultivieren werden. In Bezug auf die Gewebeaufarbeitung zeigt diese
Arbeit, dass die Erhaltung der Zellvitalität durch schonende Entnahmeverfahren
von zentraler Bedeutung für eine erfolgreiche Organoidzellkultur ist. Auch in der
Wahl der idealen Matrix für die 3D-Zellkultur sind noch weitere Untersuchungen
ausstehend, um für konstante Kulturbedingungen zu sorgen. Im Allgemeinen
zeigen die Ergebnisse die Herausforderungen dieser neuartigen Methoden auf
und bestätigt aber auch die 3D-Zellkultur des Harnblasenkarzinoms als
bedeutsamen Meilenstein in der urologischen Onkologie. Denn nur durch
realitätsnahe Tumormodelle wird es Forschung und Klinik in Zukunft möglich
sein, die Versorgung der Patient*innen sowie den ökonomisch sinnvollen Einsatz
von Ressourcen des Gesundheitssystems zu verbessern.