Inhaltszusammenfassung:
Die Anheftung von Viren an eine Wirtszelle und die darauf folgende Aufnahme des Virus in die Zelle sind entscheidende Schritte zu Beginn einer Virusinfektion. Dabei liefert das Erkennen eines Virusrezeptors einen wichtigen Beitrag zur Auswahl von Zielzellen. Säugetierpathogene Orthoreoviren (Reoviren) haben sich als hervorragende Modellviren für die Erforschung von Virus-Rezeptor-Interaktionen und Viruserkrankungen erwiesen. Außerdem wird ihre Verwendung in der Krebstherapie (Onkolyse) und als Träger von Impfstoffen untersucht. Wie auch zahlreiche andere Viren nutzen Reoviren Kohlenhydrate auf der Zelloberfläche sowie ein Zelladhäsionsprotein als Rezeptoren. Es ist noch nicht bekannt, inwiefern die Bindung an mehrere Rezeptoren zur Virusinfektion beiträgt, und allgemeingültige Regeln für die Rezeptorerkennung von Viren konnten bisher nicht aufgestellt werden.
In dieser Dissertation wurden die Struktur und die Rezeptorbindung des reoviralen Zelladsorptionsproteins sigma1 untersucht. An den Kontaktflächen des trimeren sigma1 befindet sich ein ungewöhnliches Trimerisierungsmotiv, ein Cluster von Asparaginsäuren. Zur Erforschung der Eigenschaften dieses Clusters wurde eine der beiden Asparaginsäuren zu Asparagin mutiert (sigma1 D345N), und es wurde untersucht, ob das mutierte Protein gleich dem Wildtyp an den Reovirus-Rezeptor JAM-A bindet. Außerdem wurde die Kristallstruktur der Mutante bei hoher Auflösung bestimmt. Diese Experimente geben Aufschluss über die Kräfte, die das sigma1-Trimer zusammenhalten, und insbesondere darüber, ob D345 protoniert oder deprotoniert vorliegt. Die Interpretation der Kristallstruktur lässt außerdem Rückschlüsse auf Konformationsänderungen von sigma1 während der Infektion einer Zelle zu, wobei möglicherweise ein teilweise oder vollständig detrimerisiertes sigma1-Molekül auftritt.
Desweiteren wurde die Wechselwirkung zwischen dem reoviralen Zelladsorptionsprotein sigma1 und dem Reovirus-Rezeptor JAM-A untersucht, indem die Kristallstrukturen der JAM-A-Komplexe der sigma1-Proteine zweier Reovirus-Serotypen bestimmt wurden. Beide sigma1-Trimere binden drei Moleküle JAM-A an dessen D1-Domäne. Auf JAM-A überlappt die sigma1-Bindungsregion mit derjenigen, die für die Dimerbildung von JAM-A selbst benutzt wird. Die Kontaktflächen enthalten eine ungewöhnlich große Anzahl polarer und geladener Aminosäurereste, was auf eine mögliche pH-Abhängigkeit der Interaktion der beiden Proteine hinweist. Die Dissoziationskonstante des JAM-A-Dimers wurde mittels analytischer Ultrazentrifugation bestimmt und mit derjenigen der sigma1-JAM-A-Bindung verglichen. Die thermodynamischen Kräfte der beiden Wechselwirkungen zeigen, wie sigma1 die JAM-A-Dimere aufbrechen kann, um monomeres JAM-A zu binden. Die Struktur des Komplexes aus sigma1 und JAM-A wurde mit der veröffentlichten Struktur des Komplexes aus dem Zelladsorptionsprotein des Adenovirus, fiber, und seinem Rezeptor CAR verglichen. Die Ähnlichkeit der beiden Komplexe unterstützt die bereits postulierte Theorie, dass Reovirus und Adenovirus evolutionär verwandte Zellbindemechanismen verwenden. Diese Untersuchungen tragen zum Verständnis des Zellbindemechanismus der Reoviren bei und offenbaren gemeinsame Strategien, mittels derer Viren an ihre Rezeptoren auf der Wirtszelle binden.
Abstract:
The attachment of viruses to host cells and subsequent viral entry are key steps in viral infection. Receptor recognition also serves an essential function in target cell selection. Mammalian orthoreoviruses (reoviruses) are highly tractable experimental models for studies of virus-receptor interactions and viral pathogenesis. Furthermore, they show promise as vectors for oncolytics and vaccines. Similarly to many other viruses, reoviruses use cell-surface carbohydrates and a cell adhesion molecule as receptors. How the usage of multiple receptors contributes to viral attachment is still unclear, and general rules for receptor recognition at an atomic level have not yet been established.
In this thesis, structural properties and receptor binding mechanisms of the reovirus attachment protein sigma1 were analyzed. sigma1 contains an unusal trimerization motif, the aspartic acid cluster, at its trimer interface. A sigma1 protein, in which one of the aspartic acids of the cluster was mutated to asparagine (D345N), was analyzed regarding binding to the reovirus receptor JAM-A, and its crystal structure was solved to high resolution. The analysis of the D345N mutant provides information about the protonation state of the aspartic acids and the forces holding the sigma1 trimer together. Moreover, interpretation of the D345N structure gives hints about conformational changes in sigma1 occuring during viral entry, probably involving a partly or fully detrimerized sigma1 molecule.
Furthermore, complexes formed between the attachment protein sigma1 and the reovirus receptor, JAM-A, were examined. The crystal structures of the complexes formed between the sigma1 proteins of two reovirus prototype strains and JAM-A were determined. The sigma1 trimers engage three molecules of the JAM-A D1 domain at the homodimeric interface of JAM-A. The contact areas comprise a large number of polar and charged residues, suggesting that the interaction is dependent on pH. The dissociation constant of the JAM-A homodimer was determined using analytical ultracentrifugation and compared with the one of the sigma1-JAM-A complex. The thermodynamic forces occuring in the two interactions demonstrate how sigma1 can disrupt JAM-A dimers in order to engage the JAM-A dimer interface. The structure of the sigma1-JAM-A complex was compared with the published structure of the adenovirus fiber-CAR complex. The similarities between both complexes support the theory of an evolutionary link between the cell attachment mechanisms used by reovirus and adenovirus. Together, these studies add to the understanding of the mechanisms of reovirus cell attachment and reveal common strategies used by viruses to engage their cell-surface receptors.