Inhaltszusammenfassung:
Es besteht heute ein weit über die Grenzen der christlichen Theologien hinausreichender Konsens darüber, dass die kritische Funktion zu den Wesensbestimmungen des christlichen Glaubens und die Wahrnehmung der kritischen Aufgaben auch in gesellschaftlichen Realitäten zur Grundberufung des christlichen Glaubens gehören. Um diese Annahmen zu überprüfen, werden in der vorliegenden Untersuchung verschiedene Stimmen der christlichen Theologie und Religionsphilosophie in einen Diskurs über die kritische Dimension des christlichen Glaubens einbezogen. Damit wird keinesfalls eine Homogenisierung der verschiedenen Ansichten und Zugangsweisen zur Problematik des kritischen Bewusstsein der christlichen Glaubens angestrebt, sondern im Gegenteil die Bewusstmachung der Gemeinsamkeiten und der Unterschiede, die allerdings durch einen grundsätzlich bei allen Beteiligten nachweisbaren Impetus bestimmt sind: Die kritische Dimension des religiösen Glaubens zu erschließen, mit welchen Motiven auch immer. Daher lautet die leitende These der vorliegenden Untersuchung wie folgt: Die christliche Theologie ist geradezu als Einheit von gläubigen und kritischen Funktionen des Bewusstseins, die sich gegenseitig bestimmen und beeinflussen, zu verstehen. Kritische Funktion ohne Glaubensbezug verfällt einer bodenlosen und polemischen Kritikasterei, die keine tragfähige Grundlage bieten könnte. Glaube aber ohne die kritische Auseinandersetzung mit eigenen Inhalten und der Welt der Erscheinungen läuft Gefahr, sich selbst dem Offenbarungsgeschehen zu verschließen. Nur in einem ausgewogenen Miteinander von Glaube und Kritik kann das christliche Zeugnis auch für die Gesamtheit des öffentlichen Gemeinwesens von Bedeutung sein. Um dieser These eine gewisse Tragfähigkeit zu verleihen, werden verschiedene Texte daraufhin geprüft, ob sie sich durch gemeinsame und verfestigte Themen, Problemstellungen, Begriffe, Motive, Ziele und Argumentationen in einem Diskurs rund um kritisches Vermögen des christlichen Glaubens zusammenschließen lassen. Dafür wird unter anderem näher untersucht, wie sich diese Texte im Rahmen des Diskurses zu einander verhalten, wie in diesen Texten mit der Macht umgegangen wird, wie die eine oder andere Theorie des kritischen Bewusstseins der Religion oder konkret des christlichen Glaubens mit einem Wahrheitswert aufgeladen wird, wie mit Widersprüchen oder mit Verschweigen umgegangen wird, wie die Grenzen der durch diese Texte markierten Sag- und Machbarkeitsfelder der kritischen Funktion der Religion aufgezeigt werden. Der erste Teil widmet sich einer religionsphilosophischen Grundlagenreflexion, die bisher in der Theologie kaum beachtet wurde – dem Werk von Richard Schaeffler „Religion und kritisches Bewusstsein“. Schaeffler behauptet Religion als die ursprünglichste Form von kritischem Bewusstsein. Der zweite Teil hat eine Auseinandersetzung mit „protestantischem Prinzip“ in Redaktion von Paul Tillich zum Gegenstand. Dieses Prinzip wird nicht als ein exklusiver Glaubensinhalt des Protestantismus, sondern eher als eine allen christlichen Konfessionen innewohnende Gestalt des kritischen Glaubensbewusstseins erfasst. Im dritten Teil werden die Ansätze von Günther Schiwy und Falk Wagner der kritischen Analyse unterzogen. Die Positionen der beiden Autoren sind im ersten Fall exemplarisch für eine grenzübergreifende und holistische Auffassung des kritischen Bewusstseins und im zweiten Fall für einen Anspruch auf eine elitäre und exklusive Institution der Kritik. Der vierte Teil ist der Auseinandersetzung mit dem Religionsbegriff von Friedrich Schleiermacher auf der Basis seiner „Reden über die Religion“ in erster Auflage gewidmet. Hier wird eine grundsätzliche Revision des Religionsverständnisses bei Schleiermacher unternommen, indem die Idee der kritischen Funktion der Religion bei der Herausbildung seines Religionsverständnisses stärker in den Vordergrund gerückt wird. Im Schlusswort wird eine unvoreingenommene und nüchterne Bilanz der untersuchten diskursiven Stellungnahmen erstellt.