Inhaltszusammenfassung:
Im gesamten Stadtgebiet von Troia wurde 2003–2005 ein archäologischer Survey – eine systematische Sammlung vonOberflächenfunden – durchgeführt. Ziel war es, Informationen zurAusdehnung der Fundstelle während verschiedener Zeiten und zu Bereichen unterschiedlicher Funktion innerhalb der Siedlung zu gewinnen. Außerdem
war es von Interesse, die Ergebnisse von Survey, Grabungen, Geophysik und Bohrungen miteinander vergleichen zu können. Einleitend werden methodische und theoretische Überlegungen sowohl zum Untersuchungsdesign der Arbeiten im Feld als auch zur Auswertung angestellt. Die Schlussfolgerung ist, dass die bei der Feldarbeit gewonnenen Daten geeignet sind, Fundstreuungen festzustellen, die zumindest in groben Zügen Antworten auf die gestellten Fragen liefern können. Bei der Interpretation sollten die Verteilungen der Oberflächenfunde mit den Ergebnissen der Grabungen und verglichen und Überlegungen zur Verlagerung von Funden durch die jeweils spätere Siedlungstätigkeit und Erosion angestellt werden. Für die Auswertung wird vorgeschlagen, die subjektive Beurteilung der Verbreitungskarten von Funden durch die Anwendung quantitativer und statistischer Methoden, die intersubjektiv nachvollziehbar und überprüfbar sind, zu ergänzen. Alle Arbeitsschritte, die angewandten Methoden und die Daten werden beschrieben und erklärt. Anschließend werden die Funde und ihre räumliche Verbreitung in ihrer Gesamtheit und für einzelne Fundgruppen in chronologischer Reihenfolge dargestellt und interpretiert.
Insgesamt wurden bei Survey über 400000 Funde, zum großen Teil Keramik- und Ziegelbruchstücke registriert. Die Gesamtmenge der an der Oberfläche, das heißt in den obersten 5–10 cm des Bodens liegenden, Gegenstände kann auf mehr als 42 Millionen geschätzt werden. Die Fundstelle lässt sich gut von einem nahezu fundleeren Umland abgrenzen. Die maximale Ausdehnung erreichte sie während der hellenistischen und römischen Zeit. Die Ausdehnung dieser antiken Stadt Ilion und ihrer randlichen Gräberfelder lässt sich durch die Streuung aller Funde und der Ziegel gut umschreiben. Mit dem Survey wird auch klar dokumentiert, dass die derzeitige Implementierung der unter Denkmalschutz stehenden Zone nicht ausreicht, um eine Zerstörung von Teilen der Fundstelle zu verhindern. Bronzezeitliche Funde sind selten. Früh- und mittelbronzezeitlichen Funde (Troia I-V) gibt es so wenige, dass man die Existenz einer Besiedlung außerhalb der Burg und ihrer näheren Umgebung nach den Ergebnissen des Surveys ausschließen kann. Spätbronzezeitliche Funde (Troia VI-VIIa) kommen wesentlich häufiger vor. Ihre räumliche Verteilung stützt die Interpretation der Grabungsergebnisse. Auf dem Plateau, an dessen Nordwestrand sich die Burg von Troia befindet, gab es eine flächendeckende spätbronzezeitliche Besiedlung, die im Westen, Süden und Osten von mindestens einem Verteidigungsgraben umschlossen wurde. Die Dichte der spätbronzezeitlichen Besiedlung lässt sich bisher weder durch die im Verhältnis zur Gesamtfläche nach wie vor sehr kleinen Grabungen noch mit Hilfe des Surveys genau und vollständig bestimmen. Nach allen bisherigen Ergebnissen ist anzunehmen, dass es imWesten und Süden der Burg eine dichte spätbronzezeitliche Verbauung gab. In
größerer Entfernung von der Burg nahm die Dichte der Verbauung ab; es ist auch mit handwerklich oder landwirtschaftlich genutzten Flächen zu rechnen. Klare Hinweise auf die Lage bisher unbekannter spätbronzezeitlicher Gräberfelder lieferte der Survey nicht. Es konnte aber wahrscheinlich gemacht werden, dass amHangfuß im Süden und Südosten in der Fortsetzung des bereits von Blegen ausgegrabenen Friedhofes weitere Gräber liegen.
Vom Ende der Bronzezeit (Troia VIIb) bis zum Beginn der hellenistischen Zeit gibt es nur wenige Funde. Es gab aber in diesen Zeitabschnitten Aktivitäten in einem kleineren Ausmaß als zuvor und zum Teil wohl auch eine Besiedlung auf dem Plateau südlich der Burg. Die Ausdehnung der hellenistischen und römischen Stadt Ilion mit ihrem Straßennetz und der Stadtmauer
ist durch Grabungen und aus den Ergebnissen der geophysikalischen Prospektion gut bekannt. Der Survey zeigt, dass sowohl hellenistische als auch römische Keramik im gesamten Stadtgebiet flächendeckend vorkommt. Ein Wachstum oder andere Veränderungen von Lage und Ausdehnung der Stadt während dieser beiden Perioden werden nicht sichtbar. Im Verhältnis der Fundzahlen der beiden Perioden zueinander zeigen sich aber unterschiedliche
Schwerpunkte. Nach einer längeren Zeit, aus der es bisher keine archäologischen Funde gibt, entstand in der spätbyzantinischen Zeit amWestrand des Plateaus erneut eine Siedlung, die bis in die frühosmanische Zeit bestand. Die bisher bekannten byzantinischen Friedhöfe liegen amRand dieses Ortes. Die Fundstreuungen verschiedener Arten glasierter Keramik unterscheiden sich auffällig voneinander. Dies kann chronologisch oder als Ausdruck sozialer
Unterschiede in der Siedlung interpretiert werden. Fundkonzentrationen von Marmorfragmenten, Mosaiksteinchen und Bruchstücke von bemaltem Wandverputz geben Hinweise auf entsprechend ausgestattete Gebäude des römischen Ilion und eine spätantik-frühbyzantinische Kirche. Häufungen von Schlacken zeigen Werkstattbereiche an und gestatten es, von der Geophysik festgestellte magnetische Anomalien präziser zu interpretieren.
Die Verteilungen von Molluskenschalen lassen sich zum Teil chronologisch interpretieren. So entspricht die Streuung von Herzmuscheln gut jener der bronzezeitlichen Funde. Andere Verteilungen zeigen wahrscheinlich bevorzugte Orte der Deponierung an. Eine Häufung von Purpurschneckenschalen könnte ein Hinweis auf die Lage von Werkstätten zur Farbherstellung sein.
Abstract:
On the entire site of Troia an archaeological survey (systematic collection of surface finds) was conducted in the years 2003–2005. The goal was to collect data on the extent of the site during different periods, and on functionally different areas within the settlement. Besides, it should become possibl to compare results from survey, excavations, geophysics, and core drillings. At the beginning, methods and theory of the research design both in the field and for the analysis phase are discussed. It is concluded that the data is sufficient to detect find scatters which are helpful in answering the research
questions at least along general lines. In interpretation, the distributions of surface finds have to be compared with excavation results to allow for an assessment of find relocation due to human activities and erosion processes. It is suggested to supplement subjective judgement of distribution maps with quantitative and statistical methods, thus making interpretations intersubjectively verifiable. All procedures, methods, and the collected data are described and explained.
Subsequently, the distributions of the finds as a whole as well as for different find types are shown, described and interpreted in chronological order. A total of more than 400000 objects, mostly pottery or tile fragments, was registered. The sum total of all finds on the surface and within the uppermost 5–10 cm of soil can be estimated at ca. 42 million. The extent of the site is clearly visible; there are almost no finds in the surrounding area. During the Hellenistic and Roman periods the city of Ilion reached its maximum extent. Size and location of this ancient city and its cemeteries is visible in the overall distribution of all finds and tile fragments. Survey results clearly document that the present zone protected by Turkish antiquities law is not sufficient to prevent further damage to parts of the site.
Bronze Age finds are rare. Judging from survey results, an Early or Middle Bronze Age (Troia I-V) settlement outside the citadel and its immediate vicinity can be excluded. Late Bronze Age (Troia VI-VIIa) finds are much more frequent. Their distribution supports excavation results. On the plateau with the citadel in the northwest there was a settlement surrounded by at least one defensive ditch on its western, southern and eastern side. The building and population density cannot be determined with certainty; neither by excavations, which are still small in comparison with total site area, nor by survey results. According to the results available at present a densely built-up area can be assumed to the west and south of the citadel. Further away from the citadel, buildings were probably interspersed with land used for workshops and agriculture. Unambigous evidence for Bronze Age cemeteries was not found by the survey. However, it is likely that cemeteries continued at the lower slopes to the south and southwest at both sites of the Late Bronze Age cemetery excavated by Blegen. Between the end of the Bronze Age (Troia VII) and the Hellenistic period finds are scarce. There is evidence of some activity and maybe even a small settlement south of the citadel during this time. The extent of the Hellenistic and Roman city Ilion is well known from excavations and geophysical prospection. The survey has shown that Hellenistic as well as Roman pottery covers the whole area. There is no evidence for any changes in location or extent between these two periods. The proportions of Hellenistic and Roman pottery found are different in some areas of the city. After several centuries without archaeological evidence a new settlement developed on the western edge and slopes of the plateau during the Late Byzantine period. Byzantine cemeteries have been excavated on the eastern margin of this settlement. Several types of glazed pottery have strikingly different distributions. This can be interpreted as a sign of socio-cultural differentiation within the site, or as chronological difference. Find scatters of marble fragments, mosaic tiles, and fragments of wall painting show locations of Roman buildings and an Early Byzantine church. Concentrations of slags are signs of workshop and can be useful for detailed interpretation of magnetic anomalies (ovens). The distributions of different kinds of sea shells can in some cases be interpreted chronologically. The find scatters of cockles (Cerastoderma) and Bronze Age finds are similar. Other distributions most likely show preferred areas of disposal. A concentration of Murex snails may indicate the location of dyeing workshops.